19. Dezember 2014

Presseerklärung: Rechts gegen Rechts

Rechts gegen Rechts

Gemeinsame Presseerklärung vom 19.12.2014 | 13.00 Uhr
ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH, Projektstelle gegen Rechtsextremismus Bad Alexandersbad, Bayerischer Verein für Toleranz, Demokratie und Menschenwürde e.V., Wunsiedler Bündnis gegen Rechtsextremismus, Jugendinitiative gegen Rechtsextremismus Wunsiedel, Stadt Wunsiedel

Rechts gegen Rechts

Am 15. November 2014 gingen Neonazis in Wunsiedel, Oberfranken, wie jedes Jahr auf die Straße. Doch die kleine Stadt wehrte sich. Nicht mit Gewalt, sondern mit einer Idee: sie ließ die Neonazis gegen sich selbst und für den eigenen Ausstieg aus der rechten Szene laufen. Unter dem Motto „Rechts gegen Rechts“ fand der unfreiwilligste Spendenlauf Deutschlands statt. Der Ort des Geschehens: Wunsiedel in Oberfranken. Trotz zahlreicher Proteste der Bürger und Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht nutzen Neonazis aus ganz Europa die oberfränkische Stadt immer wieder als “Wallfahrtsort”. Der Grund: Von 1988 bis 2011 existierte hier das Grab von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Die Gedenkmärsche wurden dabei zu einer festen Institution der rechten Szene.

Dieses Jahr ging Wunsiedel einen anderen Weg und machte aus dem Trauermarsch der Neonazis den unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands. Ohne Wissen der Beteiligten wurden an der Demonstrationsstrecke Plakate, Banner und Bodenmarkierungen angebracht, die die Route durch motivierende Sprüche und typische Wettlaufelemente, wie Start- und Ziel-Linien, optisch in eine Sportveranstaltung verwandelten.

Die Idee

Die entwickelte Idee ist einfach. Sie lässt die Demonstranten in eine Zwickmühle laufen, die nur zwei Optionen zulässt: Abbruch der Demonstration oder Spenden zu erlaufen für einen Verein oder eine Organisation, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. So wird aus einer Neo-Nazidemonstration ein Spendenlauf und aus fremdenfeindlicher oder revisionistischer Hetze, konkrete Hilfe für Menschen, die diese Unterstützung benötigen.
Wir wollten einen kreativen und aktivierenden Umgang mit Demonstrationen präsentieren und Initiativen und Gemeinden alternative Gegenkonzepte zeigen. Fabian Wichmann Mitinitiator von Rechts gegen Rechts sagt: „Neben der unglaublichen weltweiten Presseresonanz freut uns besonders die unglaublich positive Resonanz aus der Stadt Wunsiedel. Eine Stadt, die Jahr ein Jahr aus an die Grenzen des Zumutbaren gebracht wurde. Die Aktion sollte aber auch verdeutlichen, dass Engagement gegen Rechtsextremismus Unterstützung benötigt. Und zwar: nachhaltige, politische und gesellschaftliche Unterstützung! Was mich besonders freut, ist, dass es neben der medialen Verbreitung nun in Remagen, Meerbusch und Weißenfels erste Aktionen gibt, die der Idee folgen. Das Ziel: Einen alternativen Umgang mit Neo-Nazidemonstrationen zu erproben, ist vollständig erreicht worden. Wir sind beeindruckt von der Wirkung. Weiterhin möchten wir uns ausdrücklich bei allen Partner, Unterstützern und Spendern bedanken. Ohne sie wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen.“

Spendenstand

Der aktuelle Spendenstand beträgt 17.000 Euro. Insgesamt haben mehr als 230 Menschen gespendet. Das bedeutet, dass die Demonstranten – mit den Spenden im Nachhinein – nicht 10 Euro pro Meter, sondern 17 Euro pro Meter laufend freigegeben haben.

Öffentlichkeit / Medienresonanz

Nationale und Internationale Medien berichteten über den Spendenlauf von Wunsiedel. Von Russland über New York bis nach Neuseeland: Alle berichteten – und bescherten der Aktion einen viel wichtigeren als nur finanziellen Erfolg. Wir zählten mehr als 400 Online-Artikel in mehr als 40 Ländern. Darunter unteranderem England, China, Russland, Brasilien oder Peru. In Deutschland waren es über 100 Zeitungsberichte und mehr als 30 TV Berichte. Insgesamt wurden allein in Deutschland 9.000.000 Menschen erreicht (TV und Printmedien). Das englische und das deutsche YouTube-Video wurden zusammen 2.300.000 Mal angeschaut. Allein der Facebookpost des Videos erreichte über 1.000.000 Menschen. Zusammengenommen macht das einen Mediaäquivalenzwert von über 1.000.000 Euro.

Der Hashtag #rechtsgegenrechts war zeitweise in den Hashtagcharts. Fundraisingexperten sprechen von einer beachtlichen Innovation im Fundraisingbereich. Politiksatire Magazine wie „Die Anstalt“ oder „Willkommen Österreich“ berichteten. Weiterhin wurde die Aktion im Jahresrückblick des ZDF („Menschen 2014“, erreichte Zuschauer: 3,3 Millionen Menschen) und von Pro7 präsentiert.

Martin Becher, ebenfalls Mitinitiator von Rechts gegen Rechts: „Für viele Menschen war diese ironisch-spöttische Form der Auseinandersetzung eine Befreiung – endlich einmal fand die Auseinandersetzung mit Neonazis nicht in einer schweren, moralisch beladenen und insgesamt bedrückenden Form statt. Im Lachen wurden die Neonazis kleiner. Durch die Aktion wurden die Neonazis auf ihre Normalgröße geschrumpft, und das empfanden viele Menschen als befreiend.“

Ausblick

Seit der Aktion in Wunsiedel wurde die Mechanik der Aktion, unter anderem in Remagen, Weißenfels und Worms angewandt. In Weißenfels wurden so mehr als 2.500 Euro für Flüchtlinge gespendet. Für das Jahr 2015 gibt es weiterhin mehrere Anfragen von anderen Gemeinden und Kommunen für die Umsetzung der Aktion. Die ZDK Gesellschaft demokratische Kultur gGmbH sowie unsere Partner sind aktuell dabei, die Mechanik als „Minifoundraising-Tool“ weiterzuentwickeln und perspektivisch weiteren Nutzer und Spendenempfängern zugänglich zu machen.

Pressestimmen

“La Repubblica” (Italien): “Das Lustigste – sehen Sie sich die Fotos an – sind die Spruchbänder, mit denen die Stadt Wunsiedel den jährlichen Aufmarsch der Neonazis begrüßt hat. Spruchbänder, die provokant in Rosa oder Violett gehalten sind, was eigentlich die Farben der Alternativen und der Gay-Szene sind, und auf denen etwa geschrieben steht: “Wenn das der Führer wüsste …” Das tut wahrscheinlich weh, es tut sehr weh, den Militanten der NPD, dieser größten und gefährlichen deutschen Neonazi-Partei, und allen anderen Anhängern einer ultrarechten Gruppe.”

“Vice”: “Natürlich war der philanthropische Aspekt symbolisch. Viel wichtiger war, dass es die Demonstranten idiotisch aussehen ließ. Die Kameras fingen herrliche Aufnahmen ihrer verwirrten Gesichter ein, und ihr langsamer Marsch ließ sie lächerlich selbstgefällig wirken, während die Einwohner aussahen, als hätten sie eine wirklich gute Zeit. Hätte Heß noch ein Grab, er würde sich darin umdrehen.”

“Libération” (Frankreich): “Bingo – die Neonazis sahen sich in die Falle gelockt.”

“NY Daily News”: Offensichtlich waren sie [die Neonazis] sich nicht bewusst darüber, was da für sie angerichtet war, aber Exit Deutschland stellte sicher, dass es ihnen klar wurde – mit bunten Zeichen am Weg, die sie darüber informierten, wie viel Geld sie auf ihrer Strecke schon angesammelt hatten. Es stand sogar ein Tisch mit Bananen bereit, um die Teilnehmer zum Weitergehen zu ermutigen. Man weiß noch nicht, ob die Gruppe mit ihrem jährlichen Aufmarsch im nächsten Jahr weitermachen wird. Aber dank diesem Manöver könnten es zumindest weniger sein.”

“The Independent”: “Die Einwohner stellten den Neonazis sogar Essen für ihre Reise bereit. Die Waren wurden unter dem Banner ‘Mein Mampf’ angeboten – was soviel heißt wie ‘Mein Essen’.”

“Nelson Mail” (Neuseeland): “Deutsche Neonazis marschieren gegen sich selbst.”

Weitere Informationen und Preisverleihung

Im Pressegespräch wurde darüber informiert, wie die Neonazis selbst auf diese Aktion reagiert bzw. nicht reagiert haben. Außerdem wurde der Jugendinitiative Wunsiedel ein Preis überreicht: der „Troll des Jahres 2014“.

Gesprächspartner:

Fabian Wichmann; ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH / EXIT-Deutschland
Martin Becher; Projektstelle gegen Rechtsextremismus Bad Alexandersbad
Karl Rost; Wunsiedler Bündnis gegen Rechtsextremismus (Sprecher)
Arno Speiser; Jugendinitiative gegen Rechtsextremismus Wunsiedel
Karl-Willi Beck; Erster Bürgermeister der Stadt Wunsiedel
Jürgen Schödel; Pfarrer und Wunsiedler Bündnis gegen Rechtsextremismus (stv. Sprecher)

Pressemeldung.pdf


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