NEWS: PEGIDA
Es gibt kein richtiges Leben ohne Weihnachten: PEGIDA und das Gespenst des Rechtspopulismus
Ein Kommentar von Christian Ernst Weißgerber
Grafik: Daniel Kraft
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Rechtspopulismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Allianz gegen dies Gespenst verbündet, Papst und Könige, Merkel und Cameron, französische Radikale und deutsche Polizisten. Das Gespenst des Rechtspopulismus ist ein Wiedergänger, eine totgeglaubte Erscheinung, die wiederkehrt. Dies heißt aber nicht etwa, dass er lange Zeit gar nicht da gewesen wäre. Denn er war nie wirklich tot. Und er ist sich dessen ebenso wenig bewusst wie seiner unverhofften Wiederkehr in anderem Gewand. Damals Glatzköpfe in Bomberjacken und Springerstiefeln, heute scheinbar harmlose ‚Bürgerrechtsbewegungen‘ aus der ‚Mitte der Gesellschaft‘. Einige Kontinuitätslinien springen jedoch ins Auge: Menschenkolonnen, die mit Deutschlandfahnen durch Dresden marschieren und Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte. Dieses Gespenst kann vielleicht nicht durch Wände gehen. Durch Schädeldecken dringt es jedoch ohne Mühe und materialisiert seine Erscheinung im ‚Tal der Ahnungslosen‘ wie anderswo.
Toleranzgrenzen in Zeiten des Volkstods
Der furchtgeschwängerte Blick dieser unheimlichen Erscheinung richtet sich auf die Grenzen der ‚Festung Europa’, wo der Wunsch nach einem anderen Leben Tausenden dasselbe kostet, denen sich Europa als letzte Hoffnung präsentiert.
Hier finden wir den Riss, der unsere Gesellschaft durchzieht, an dem sich derzeit die Geister spalten: die Flüchtlingspolitik ist symptomatisch für den derzeit hippen ‚Euro-Nationalismus’ – ein Gespenst der europäischen Idee vergangener Jahrzehnte, die jetzt als ausgewachsener Restriktionsapparat ihr schauriges Unwesen treibt. Von wegen „alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“ Die Freiheiten, die mit der EU einhergehen, sind fast ausschließlich Freiheiten für ohnehin Bessergestellte. Allen Anderen gibt es die Möglichkeit leichter an ihren teils mehrere hundert Kilometer entfernten Arbeitsort zu kommen oder in reicheren Ländern betteln zu gehen – dem europäischen Binnenmarkt sei Dank. Die innerdeutsche Geflüchtetenpolitik hat die zynische Bezeichnung der ‚deutschen Willkommenskultur’ bereits an die Spitze meiner persönlichen Unwort-des-Jahres-Liste gesetzt. Humanität und Menschenrechte? Fehlanzeige. Die Ausrede, ‚man könne eben nicht alle hier aufnehmen’: eine infame Karikatur des Trauerspiels, das sich vor unseren Augen abspielt. Von Anstrengungen die Situation von Geflüchteten zu verbessern, lässt sich von staatlicher Seite aus wirklich nicht sprechen. Stattdessen: Sondereinheiten zur Überwachung und Abschiebung straffällig werdender Asylbewerber_innen. Wir wollen unseren Reichtum nicht teilen. Die ‚Flüchtlingsströme’ sind für den ‚Way of Life’ vieler intolerabel – sowohl wirtschaftlich als auch sozio-kulturell. Toleranz ist in unserer Gesellschaft ein Grenzbegriff: sie grenzt meist aus und ihre Grenze selbst ist im Gegensatz zu den Grenzumzäunungen der EU ziemlich niedrig. Toleranz sollte jedoch, wie Freiheit, zumindest immer die Toleranz der anders Denkenden, kurz der Anderen sein. Toleranz ist keine Einbahnstraße. Damit meine ich, dass heute die wirkliche Andersheit auf sicherer Distanz gehalten wird (Slavoj Žižek hat hierauf in seinem Buch Plädoyer für die Intoleranz hingewiesen). „Ausländer? – Gern! Wenn die Deutsch lernen und sich unserer Kultur anpassen!“ Dann sind sie nun aber eben nicht mehr anders, sondern gerade gleichgemacht, ein und dasselbe. „Aber Deutschland ist doch bunt!“ Kopftuchverbot an Schulen und Islam unter Generalverdacht sprechen hier Bände. Toleranz, als bloße Duldung setzt ein Überlegenheitsverhältnis des tolerierenden Dulders gegenüber der Tolerierten voraus, die aus Großherzigkeit geduldet wird. Multikulti auf diese Weise verstanden ist Monokulti mit einigen Schönheitsfehlern, die als bunte Farbklekse staffiert, zeigen sollen, wie tolerant ‚wir’ sind. Diese Selbstbeweihräucherung kotzt mich an. Diese Toleranz kann ich nicht tolerieren, schon gar nicht als Allheilmittel! Kein Wunder, dass Angela Merkels Aussage über das Scheitern der Multikulti-Gesellschaft Freude bei nationalistischen und xenophoben Gruppierungen in ganz Europa ausgelöst hat: „Machen wir mal multikulti und Leben mal so nebeneinander her und freuen uns übereinander – dieser Ansatz ist gescheitert! Absolut gescheitert!“ Auch dies spricht ebenso der sogenannten bürgerlichen Mitte aus der braven Volks-Seele: „Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, aber bitte nicht bei uns!“ Die Angst vor dem unkontrollierbaren Anderen koppelt sich an die Angst der Annihilation. Allen Berufs- und Hobby-Nazis fiel ein Stein vom braunen Herzen als Thilo Sarazin mit dem Titel seines obszönen Kassenschlagers in nuce umsäumte, was sie all die Jahre gepredigt, wofür sie all die Jahre gekämpft und fleißig Asylheime angezündet sowie Menschen zu Tode geprügelt haben: Deutschland schafft sich ab. Der Volkstod greift mit seinen knöchernen Händen in ‚unsere’ Erbsubstanz ein, wo die Prokreation nicht aus Karrieregründen schon von selbst eingestellt wurde…
Mit dem Verweis auf ‚unabweisbare’ Fakten und ‚objektive’ Statistiken aus ‚der Wissenschaft‘ untermauert, lädt die sich ausbreitende Epidemie des Rechtspopulismus zu von Angst geschürten Willkürbekundungen ein – das Symptom dieser Politik der Angst ist der Rechtsruck in den Parlamenten, ihr Maskottchen Xavier Naidoo.
Nazis vierteilen! Oder Selbsttäuschung im Reich der ‚guten Mitte’
Dies erklärt auch die Distanzierungswut von AFD, CSU/CDU, PEGIDA und ihren Kamerad_innen im Geiste. Sie haben gute Gründe die Vorwürfe des Rechtspopulismus aka (Proto-Neo-)Nationalsozialismus nicht zu verstehen. Sie sprechen vom Ort der „guten Mitte“ aus, die sich verfassungsstaatlich legitimiert weiß und von der daher jede Kritik als anti-demokratisch notwendig wie von einer imprägnierten Zwangsjacke abperlt – gefangen in ihrem illusionären Glauben, den ‚gesunden Menschenverstand‘ zu verkörpern. Doch warum können sie nicht aus diesem gedanklichen Zwangsgestell ausbrechen? Sind sie vielleicht indirekt von einer Machtelite geleitet, die hinter den Kulissen die Strippen zieht? Ich bin mir da nicht so sicher. Aber bestimmt hat Xavier Naidoo einige Insights hierzu zum Besten zu geben… Sind sie vielleicht einfach bösartig und verstehen nicht, wie wichtig Toleranz und gegenseitiger Respekt ist? Das wäre zu einfach und ist im Übrigen ebenfalls eine anprangernde Frage, die sich nur aus dem Bannkreis einer imaginären guten Mitte formulieren lässt. Warum meinen sie, dass sie für das Richtige, Gute, Schöne gegen all jene kämpfen, die das paradiesische Idyll zu zerstören trachten, das sie ihre Heimat nennen? Weil sie daran glauben, dass es so ist? Offenbar. Warum können sie sich nicht von Ressentiment und Ausschlussmechanismen gegen selbsterzeugte imaginäre Sündenböcke lösen? Sind vielleicht schlichtweg einfach zu bequem oder gar zu blöd dazu? Vielleicht.
An dieser Stelle scheint es sinnvoll für eine Vierteilung von Nazis zu plädieren. Ich meine damit freilich nur eine Einteilung in vier grobe Cluster des „Nazi-Seins“, um deutlich zu machen, warum es AfD, PEGIDA und Co. so schwer fällt zu verstehen, was sie eigentlich sind: 1. Menschen, die Nazis sind (also Handlungen oder Sprechakte vollziehen, die eine Variante von Nazi-Ideologie reproduzieren), dies auch wissen (sich also selbst als Nazis verstehen und diese Identität affirmativ für sich in Anspruch nehmen) und es auch ohne Vorbehalt öffentlich sagen, schreiben oder sonst wie durch Symbolbezüge jeglicher Art aufzeigen. Hierzu zählt bspw. der Nationale Widerstand, seine freien Kameradschaften oder ‚autonomen Zellen‘, kurzum Nazis die ungeniert öffentlich Nazisachen machen. 2. Personen, die Nazis sind, dies auch wissen, es aber bewusst nicht öffentlich sagen oder zu kaschieren versuchen, z.B. die NPD, DVU oder auch viele Verschwörungstheoretiker_innen sowie Anhänger_innen der Reichbürgerbewegung dürfen sich hier angesprochen fühlen. 3. Personen, die ihrem Habitus und ihrer Weltanschauung nach Nazis sind, dies aber weder einsehen noch sich öffentlich in dieser Weise äußern. Hier finden sich historisch betrachtet bspw. alle diejenigen repräsentiert, die der schweigenden Mehrheit während der zwölf Jahre des Tausendjährigen Reichs angehörten, die freilich von nichts gewusst und natürlich niemandem, was zu Leide getan haben wollen. Man munkelt, bei dieser Klientel seien nach 1945 haufenweise die Lücken im Bücherregal, in denen zuvor Mein Kampf thronte, mit dem Parteibuch der CDU gefüllt worden. Aber wer interessiert sich heute bitte noch für Geschichte? 4. Abschließend das Cluster, das sich neuerdings wieder eines stetigen Zuwachses erfreut: Menschen, die Nazis sind, es jedoch nicht wissen bzw. nicht wahrhaben wollen, aber öffentlich trotzdem so reden, handeln und rumlamentieren als wären sie welche – das Gespenst des Rechtspopulismsus, das gerade in Europa wieder sein Unwesen treibt und dessen Laken aus den Bannern von AfD, Bloc Identitaire, Fidesz, Front National und UKIP sowie neuerdings PEGIDA und viel zu vielen Montagsdemonstrant_innen zusammengeflickt ist. Lüftet man es ein wenig, verstecken sich unter dem Betttuch häufiger in Braunhemden gekleidete Reaktionäre und Ewiggestrige als man eigenen Angaben zufolge vermuten würde.
PEGIDAs wirkliche Agenda: Es gibt kein richtiges Leben ohne Weihnachten
Das Interessante an dem viralen Video , in dem Teilnehmer_innen einer PEGIDA-Veranstaltung in den üblichen Phrasen und Plattitüden ihre Furcht zum Ausdruck bringen, ist, dass vor allem der Vergleich zu den Zeiten der DDR vermehrt aufgebaut wird. „Ich bin alt genug. Ich weiß was los ist. Ich hab’s in der DDR gemerkt, wie sie alles verdreht haben und hier wird’s genau wieder verdreht – das Volk hier unten das interessiert die gar nicht.“ Daraus wird jedoch geschlossen instinktiv die richtigen Antworten zu haben, damals die Forderung nach Reisefreiheit und Wiedervereinigung, heute nach Einreisestopp und dem Aufbau einer neuen Mauer, in Form einer Grenzanlage, die „reisefreudige Afrikaner“ daran hindern soll, ‚hier bei uns Urlaub zu machen’.
Anstatt daraus zu schließen: ‚Ich habe damals die Komplexität des politischen Geschehens auf den Straßen wie in den Parlamenten nicht durchblickt und tue es auch heute noch nicht.’ Damals wie heute gehen sie auf die Straße und meinen damit das Kollektiv-Subjekt der Zeitgeschichte zu formen. PEGIDA – so ließe sich satirisch sagen – ist ein Zeichen der endgültigen Bewältigung der ‚Wende‘ auf einstiger Ostseite. Denn heute befinden sich die ehemaligen ‚Ossis‘ strukturell betrachtet in der Position der ehemaligen ‚Wessis‘. Sie sind potenziell mit einer ‚Welle von Menschen‘ konfrontiert, die bei ihnen um Unterschlupf für ein gesellschaftspolitisch wie wirtschaftlich besseres Leben um Hilfe bitten (dies Taten unzählige DDR-Bürger-innen auch schon vor 1989). Damals wie heute meinen einige diese Welle solle an den Klippen der Grenzen zerschellen und am Eindringen gehindert werden. Damals war diese Steilküste die Mauer. Heute sind es die Süd-Grenzen der EU, von Lampedusa bis Gibraltar.
Mangelware sind Aktionen wie diejenige des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) , welche dem Gedenken der Mauertoten an den EU-Grenzen gewidmet ist. Deren Anzahl übersteigt jährlich diejenige der Mauertoten der DDR um ein Vielfaches. Die Forderung des ZPS nach einem EU-Mauerfall muss vielen Menschen hier zu Lande als obszön erscheinen. Immerhin haben die Geflüchteten, im Gegensatz zu den ehemaligen DDR-Bürger_innen keine ‚gemeinsamen Wurzeln‘ hier und leben in Ländern, die sicherlich nicht mal offiziell als ‚Unrechtsstaaten‘ gelten. ‚Was soll das Ganze also eigentlich?‘
Dabei ist auffällig, dass Geflüchtete von PEGIDA-Anhänger_innen wenn überhaupt, dann zumindest nicht als Menschen zweiter Klasse wahrgenommen werden. Denn das ist der Standpunkt ‚des Volkes‘ selbst, der ‚stinknormalen Bürger‘ auf den PEGIDA-Märschen, deren ‚Normalität‘ tatsächlich zum Himmel stinkt. Diesen von harterarbeitetem Wohlstand geprägten Standort, gilt es gerade gegen die fremden Eindringlinge zu verteidigen. Über den ‚Normalos zweiter Klasse’ selbst stehen jedoch die korrupten Bessergestellten: Bosse, Politiker und alle anderen, die sich nicht um ‚den gemeinen Bürger‘ scheren. Geflüchtete kommen auf dieser Skala wie es scheint nur als Auszuschließende („Sie haben kein Recht, sich hier festzusetzen“) oder auszumerzender Virus vor (‚Die bringen ihre Krankheiten mit hier her und wir müssen das dann ausbaden.‘). Sie sollen keinen Anteil haben, da sie die Gefahr verkörpern, die abzuwehren sich der durch die PEGIDA verkörperte ‚Volkssouverän‘ zur Aufgabe gemacht hat, der sich als ‚natürliches Immunsystem‘ der Nation geriert. Die Gleichsetzungskette ‚Asylbewerber_in ist gleich kriminell ist gleich verantwortlich für die Überfremdung Europas und dadurch auch für die Abschaffung abendländischer Werte wie z.B. Weihnachten‘ besticht durch ihre schlagende Logik. Sie leuchtet den Erleuchteten ein und ist allen anderen ein unverständlicher Graus. Augenzeugenberichten zufolge soll letzten Montag tatsächlich ein um seinen Arbeitsplatz bangender älterer Herr mit weißem Rauschebart auf der PEGIDA-Demo gesichtet worden sein – auch dies ein Indiz im Fall des bevorstehenden Weihnachtsmordes?
Übersetzt und destilliert ist das Wort zu Weihnachten der PEGIDA: ‚Wir haben jahrelang zu Weihnachten für unser gutes Gewissen nach Afrika Geld gespendet und jede Band Aid-Platte gekauft. Jetzt brauchen wir das Geld jedoch, um damit deutschen Kindern Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen zu können. Unser Empathiereservoir ist ebenso leer wie unsere Bankkonten.‘ Es gibt kein richtiges Leben ohne Weihnachten.
Kann man diese Menschen überhaupt ernst nehmen, wenn sie tatsächlich an das glauben, was sie ohne jedes Schamgefühl von sich geben? Sollte man dies überhaupt? Man muss. 15000 gläubige Pilger mit Wahlstatus sind schlechterdings eine gespenstische Macht – Tendenz steigend, Sympathisant_innenzahl unbekannt. Ihr individuelles Erleben der Unruhen der Gegenwart und ihre daraus erwachsende Furcht vor der Ungewissheit der Zukunft mögen legitim sein. Ihre Interpretationen und Handlungsvorschläge sind es nicht – weder juridisch, politisch noch moralisch. Es gibt kein Recht auf Borniertheit – und das zu Recht!
Dass man etwas nicht Ansatzweise verstanden zu haben braucht, um es vehement bekämpfen zu wollen, ist die unausgesprochene Präambel der PEGIDA. Von ihr legen die plump-unreflektierten, unbeholfenen Stellungnahmen der Teilnehmer_innen an den stetig wachsenden Massenaufmärschen ein beredtes Zeugnis ab. Von dieser Präambel dürfen wir uns beruhigt ein Scheibchen abschneiden – wenn auch bitte nur ein sehr kleines!