"Wir dürfen Flüchtlinge nicht den Salafisten überlassen!"
Interview mit Ahmad Mansour von Steven Anthropos
Herr Mansour, zu Beginn eine häufig diskutierte Frage: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Islam und dem Islamismus bzw. Dschihadismus?
Ahmad Mansour: Es gibt „den Islam“ nicht. Es gibt Islamverständnisse, die sehr, sehr unterschiedlich sind. Auch die Inhalte, die durch die Anhänger solcher Islam-Verständnisse verbreitet werden, sind sehr unterschiedlich. Es gibt Islam-Verständnisse, die definitiv mit dem Islamismus zusammenhängen. Nicht nur das, es gibt Islam-Verständnisse, die den Islamismus fordern. Es gibt aber auch andere Islam-Verständnisse, die damit nicht zu tun haben, die sogar präventiv gegen Islamismus wirken können.
Im Besonderen ist hier auch Ihr neues Buch interessant. Der Titel: „Generation Allah – Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen.“ Was ist die Generation Allah?
Ahmad Mansour: Die Generation Allah sind Jugendliche, die ein Teil Europas sind, die in dieser Gesellschaft leben, ein Teil dieser Gesellschaft sind, aber in sich Ideologien und Werte tragen, die hochproblematisch sind, die in eine demokratische Gesellschaft nicht passen. Das sind Jugendliche, die sehr problematische Geschlechterrollen in sich tragen, ihre Religion als eine ausschließende Ideologie verstehen, die Buchstabentreue oder Buchstabenglauben betreiben. Das sind Jugendliche, die an Angst-Pädagogik oder einen bestrafenden Gott glauben, Jugendliche, die patriarchale Strukturen in sich tragen, Verschwörungstheorien, Antisemitismus und eine klare Feind- und Opferrolle. Das sind die Inhalte, die diese Jugendlichen anfällig für weitere Radikalisierung machen. Aber das sind nicht die Radikalen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollten. Sondern das sind Jugendliche, die wir in unsere Gesellschaft noch retten und integrieren können.
Welche Menschen haben das größte Potential sich zu radikalisieren?
Ahmad Mansour: Jugendliche, die in Not sind, die instabil sind, bei denen eine Vaterfigur fehlt, die, bei denen Kommunikation in der Familie sehr problematisch ist. Jugendliche, die eigentlich eine Krise durchmachen, die kritische Lebensereignisse durchgemacht haben. Jugendliche, die mit solchen Ideologien, mit den vorher angesprochenen Inhalten, wie Angst-Pädagogik, dem schwierigen Umgang mit Sexualität usw. aufwachsen. Jugendliche, die mit salafistischen Einflüssen leben.
f&f: Häufig wird in den Medien oder in Meinungen aus der Bevölkerung aufgeworfen, dass Flüchtlinge eine besondere Rolle spielen würden, bzw. auf die Gruppe, die aus der zweiten oder dritten Generation in Deutschland oder Österreich leben.
Ahmad Mansour: Wenn ich von der Generation Allah rede, dann rede ich natürlich nicht von Flüchtlingen. Sondern ich rede von österreichischen und deutschen Zuständen; von denen, die hier seit Generationen leben, mit oder ohne muslimischen Hintergrund. Flüchtlinge sind keine Islamisten. Flüchtlinge flüchten vor Islamisten, Flüchtlinge sind offen, Flüchtlinge sind eine Ressource zum Betrachten – ohne jetzt zu verallgemeinern, natürlich gibt es Probleme. Aber Flüchtlinge müssen wir auch für unsere Gesellschaft gewinnen können, damit es nicht dazu kommt, dass diese Menschen, die diese Offenheit mitbringen, irgendwann verloren gehen in dieser Gesellschaft. Dann wird es gefährlich, denn die Salafisten warten vor den Toren der Asylwerberheime und wollen den Flüchtlingen Angebote machen. Das dürfen wir nicht tatenlos zulassen.
f&f: Bestehen Ihrer Meinung derzeit Gefahren für die österreichische und deutsche Gesellschaft?
Ahmad Mansour: Ja, definitiv.
f&f: Definitiv?
Ahmad Mansour: Die Frage ist, was Sie mit Gefahren meinen, wenn Sie Anschläge meinen, dann ja. Es wird auch Anschläge geben, leider. Die Strukturen sind da. Man kann nicht von der Insel der Glückseligkeit reden: Wir sind ein Teil dieser Welt, wir sind ein Teil Europas, wir sind Teil einer globalen Welt. Und wenn das Potential dieser Gewalt da ist, dann weiß ich nicht, warum das nicht passieren sollte. Wir haben bis jetzt Glück gehabt, besonders in Deutschland. Das ist [unverständlich]. Versuche gab es, bislang hat es Gott sei Dank nicht funktioniert.
Wenn Sie von Gefahren reden, dass eine Generation unter uns entsteht, die unsere Grundgesetze ablehnen oder teilweise ablehnen, dann sind die Gefahren da; wir erleben die Phase gerade, dass es diese Menschen unter uns gibt, übrigens nicht nur von Islamisten, sondern auch von Rechtsextremisten.
f&f: Wie kann unsere Gesellschaft gegen diese Radikalisierung vorgehen? Wie können wir unsere Gesellschaft vor dieser Radikalisierung schützen?
Ahmad Mansour: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dafür müssen die Schulen viel aktiver werden. Es müssen Angebote gemacht werden, die diese Jugendlichen immunisieren, z.B. kritisches Denken fördern, Debattierklubs ermöglichen, die Menschen über aktuelle politische Themen informieren. Aber auch Plätze schaffen, wo diese Jugendlichen auch differenziert über Konflikte reden können. Aufklärungsarbeit bei den Eltern, in den Schulen und bei den Lehrern muss geleistet werden. Die Lehrer müssen befähigt werden besser mit solchen Situationen umzugehen, ein Wir-Gefühl muss geschaffen werden, bei dem alle Menschen dazu ehören. Nicht, dass diese Menschen immer nur als Türken oder Araber dargestellt werden. Es gibt viel zu tun. Wir müssen dies aber tun, da wir ansonsten diese Generation verlieren.
h.3 f&f: Sie sprachen gerade einem Wir-Gefühl. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es nicht um ein Europa gegen den Islam, sondern um ein Wir gegen den Radikalismus geht.
Ahmad Mansour: Ja, darum geht es.
f&f: Können Sie uns das genauer erläutern?
Ahmad Mansour: Zu Beginn sagte ich, dass es den Islam nicht gibt. Wenn wir diesen Kampf pauschalisieren, dann schließen wir unglaublich viele Menschen aus, man schließt mich damit aus, weil ich der Islam bin, da ich selbst Muslim bin. Es geht eher darum, dass wir alle Europäer, alle eine Gesellschaft sind, egal welche Herkunft, egal welche Hautfarbe, egal welche Religionszugehörigkeit wir haben. Wir alle müssen gemeinsam gegen den Radikalismus kämpfen. Es geht nicht um die Muslime, es geht um die radikalen. Dann ist es viel differenzierter und viel einfacher. Und dadurch schaffen wir ein Wir-Gefühl und gewinnen viele Muslime, die dann auch mit uns gegen die Radikalen kämpfen.
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Ahmad Mansour zählt zu den renommiertesten Islamismusexperten in Deutschland. Einst selbst Islamist, arbeitet der Dipl. Psychologe seit zehn Jahren im Bereich der Analyse des Radikalismus und zur Förderung von Demokratie und Toleranz. Ahmad Mansour war Mitglied der deutschen Islamkonferenz, ist Programmdirektor bei der European Foundation for Democracy in Brüssel, Gruppenleiter beim Heroes-Projekt in Berlin und Familienberater bei Hayat, einer Beratungsstelle für Deradikalisierung.
Mit freundlicher Genehmigung von: fischundfleisch.com
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