Engagement! Was? Wie? Wo? Warum?
Vorbemerkung
Nach dem Ausstieg wollen sich einige Aussteiger und Aussteigerinnen politisch oder sozial engagieren – ein Unterfangen, das aufgrund der rechtsradikalen Vita trotz nachvollziehbarem Bruch mit der rechtsradikalen Szene gesellschaftlich skeptisch betrachtet wird. Eine Skepsis, die im Falle eines glaubwürdigen Ausstiegs kontraproduktiv sein kann, aber unter Anbetracht rechtsradikaler Unterwanderungsversuche nachvollziehbar ist. Gerade die Erfahrungen, die in der Szene gemacht wurden, können aber ein Anlass sein, aktiv gegen diese Ideologie der Ungleichheit einzutreten. Nachfolgend geht Christian Ernst Weißgeber den Fragen: Engagement! Was? Wie? Wo? Warum? persönlich-biografisch nach.
Engagement! Was? Wie? Wo? Warum?
Von Christian Ernst Weißgeber
Gesellschaftspolitisches Engagement war die Rubrik unter der der vorliegende Text ursprünglich auf der Facebook-Seite der Abteilung Studienförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht werden sollte. Was?, Wie?, Wo?, Seit wann? und vor allem Warum? waren die Fragen, die zu beantworten, ich mich bereit erklärt hatte. Besonders die Beantwortung der letzten Frage verlangt nach einer kurzen Analyse des spezifischen Kontextes, der mein Denken und Handeln motiviert. Obwohl der Umfang des Textes zunächst abgesegnet wurde, erschien er zuletzt doch zu lang und sollte vollkommen um den meiner Ansicht nach substantiellen Teil gekürzt werden. Dadurch schrumpfte der Text zu einer bloßen Auflistung verschiedener Tätigkeiten ohne die Darstellung der sie motivierenden Ansichten zusammen. Dabei scheint mir gerade die wenngleich skizzenhafte Analyse der gegenwärtigen politischen Situation an Stelle einer bloßen Selbstdarstellung meines Engagement tatsächlich mitteilungswürdig. In voller Länge sollte der Text nur im Forum der Internet-Seite fes-stip.de veröffentlicht werden, sodass er nur Stipendiat_innen, Ehemaligen und Mitarbeiter_innen der FES zugänglich gewesen wäre. Da mir die im Text besprochenen Themen jedoch auch für Nicht-Stipendiat_innen interessant scheinen, habe ich mich dazu entschieden, der Veröffentlichung der stark gekürzten Variante auf dem Facebook-Auftritt der FES zwar zuzustimmen; allerdings erst nachdem mir die Möglichkeit eröffnet wurde, den Text hier in voller Länge einem breiteren Publikum zum Lesen und Diskutieren zugänglich zu machen.
Der folgende einleitende Abschnitt, derjenige über die Distanzierungswut von PEGIDA und Co. sowie der auf ihn Folgende wurden dem Text der der FES vorlag noch hinzugefügt. Teile des Textes wurden bereits unter dem Titel „Es gibt kein richtiges Leben ohne Weihnachten: PEGIDA und das Gespenst des Rechtspopulismus“ auf der Seite des ZDK veröffentlicht. Link
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Rechtspopulismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Allianz gegen dies Gespenst verbündet, Papst und Könige, Merkel und Cameron, französische Radikale und deutsche Polizisten. Das Gespenst des Rechtspopulismus ist ein Wiedergänger, eine totgeglaubte Erscheinung, die wiederkehrt. Dies heißt aber nicht etwa, dass er lange Zeit gar nicht da gewesen wäre. Denn er war nie wirklich tot. Und er ist sich dessen ebenso wenig bewusst, wie seiner unverhofften Wiederkehr in anderem Gewandt. Damals Glatzköpfe in Bomberjacken und Springerstiefeln, heute scheinbar harmlose ‚Bürgerrechtsbewegungen‘ aus der ‚Mitte der Gesellschaft‘. Einige Kontinuitätslinien springen jedoch ins Auge: Menschenkolonnen, die mit Deutschlandfahnen durch Dresden marschieren und Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte. Aus dieser Renaissance nationalistischer, rassistischer und allgemein xenophober Ressentiments speist sich meiner Ansicht nach ein politischer Imperativ, der dazu auffordert, sich für eine solidarische Gesellschaft zu engagieren.
In meinem gesellschaftspolitischen Engagement beschäftige ich mich – in Eintracht mit meinem Studium – mit der Möglichkeit von Veränderung. Es gibt ein (anderes) Leben vor dem Tod. Menschen und die von ihnen erschaffenen Institutionen können sich ändern bzw. verändert werden. Meine Erfahrung mit der Veränderung der eigenen zumeist als mehr oder weniger starr empfundenen Identität: Ich habe mich selbst als Jugendlicher mit Teilen (neo-)nationalsozialistischer Ideologie identifiziert und mich in der rechten Szene, dem sogenannten ‚Nationalen Widerstand’, engagiert. Mein Deradikalisierungsprozess war zugleich mit einem Desidentifikationsprozess verbunden, der darin besteht die alten Identitätsmuster und Symbolstrukturen zu kritisieren und abzulegen, andere aufzunehmen, sich neu auszurichten und sozusagen die Welt mit anderen Augen zu sehen.
Wen meine politische Vergangenheit und mein damaliges ‚gesellschaftspolitisches Engagement’ in der rechten Szene genauer interessiert, dem_der wird Google verschiedene Einblicke in diese gewähren. Ich selbst möchte besonders auf zwei eigene Stellungsnahmen meinerseits verweisen: ein Interview, das ich ‚Endstation Rechts’ Link gegeben habe und infolgedessen kontroverse Diskussionen im Kommentarbereich (unteranderem mit dem rechtsextremen Publizisten Jürgen Schwab) entstanden sind. Außerdem die YouTube-Serie „Ausstieg – (K)ein Weg zurück“, die ich mit elroq Entertainment veröffentlicht habe Link. Hier besonders mein Geleittext Link. In diesen Interventionen klingt bereits meine heutige Sichtweise zu verschiedenen politischen Themen an. Hierzu habe ich nun auch eine Reihe von Videos zur PEGIDA-Problematik veröffentlicht, die den immer stärker werdenden ‚antirassistischen Rassismus‘ und Rechtspopulismus thematisieren Link. Auch die Triebfedern meines jetzigen Engagements werden in diesen Video-Serien angedeutet, die ich im Folgenden genauer erörtern möchte.
Mein Engagement bei Exit-Deutschland hat sich aus meiner eigenen Betreuung durch Exit entwickelt. Nun bin ich zum einen als Bildungsreferent_in in ganz Deutschland unterwegs und spreche mit Schüler_innen, Student_innen und Interessierten über meine eigenen Erfahrung und die Gefahren nazistischen Gedankenguts. Zum anderen arbeite ich an verschiedenen Projekten zur Aufklärung über neo-nazistische und rechtskonservative Bewegungen.
Exit-Deutschland ist für mich eine von verschiedenen Organisationen die eine Möglichkeit der Veränderung bietet. Sie bietet Menschen deren Lebenswelt völlig innerhalb des nationalen Widerstands verortet ist andere Strukturen, außerhalb des braunen Bannkreises. Hierbei geht es Exit jedoch nicht nur um wirtschaftliche Subsistenz der Betroffenen, die sich zum Rückzug aus der Szene entschließen (dies leistet auch der Verfassungsschutz noch ohne größere Ausfälle), sondern eine Reflexion über die eigenen Taten und das diese antreibende Denken (ja, ganz richtig, auch Nazis denken!). Erst ein anhaltender Reflexionsprozess, sozusagen eine ideologiekritische Vergangenheitsaufarbeitung ermöglicht ein anderes Leben, das nicht mehr auf Ausschluss und physischer wie struktureller Gewalt gegen Andere basiert.
Ich bin außerdem Fellow des an Exit Deutschland angeschlossenen wissenschaftlichen ‚Institute for the Study of Radical Movements’ (ISRM) für das ich Vorträge in Kopenhagen und Oslo gehalten, Aufsätze verfasst und aus dem Französischen übersetzt habe. Ein anderes Projekt an dem ich gemeinsam mit Exit arbeite steckt gerade noch in den Kinderschuhen und soll Personen im Ausstiegsprozess die Möglichkeit geben, ihre politisch-motivierten Tattoos entfernen zu lassen. Dabei geht es nicht darum, die Entfernung zu bezahlen, sondern ein Netzwerk an Tattoo-Künstler_innen zur Verfügung zu stellen, die mit der schwierigen Technik des Cover-up (übertätowieren) vertraut sind. Personen im Ausstieg sollen sich von den unter ihre Haut eingravierten Relikten ihrer Vergangenheit lösen können. Nicht nach dem Motto: ‚Aus den Augen, aus dem Sinn’, sondern als integraler Teil ihres Deradikalisierungsprozesses und der damit einhergehenden Desidentifikation mit Nazi-Ideologemen und -Symbolen.
Für dieses Engagement ist es wichtig zu verstehen, dass das von manchen wanne-be-Linksradikalen geträllerte Mantra des ‚Einmal Nazi, immer Nazi’, ein verzerrtes Spiegelbild essentialisierender Nazi-Ideologie ist. Hier heißt es jedoch ‚Einmal Deutscher, immer Deutscher’ oder aber ‚Einmal Jude, immer Jude’. Derartigem Nonsense muss die stets vorhandene Möglichkeit zu Veränderung entgegen gehalten werden. Denn Nazis werden nicht als solche geboren, sondern entscheiden sich im Verlaufe ihres Lebens für diese Identifizierung. Daher können sie diese auch wieder ablegen. Dass dies innerhalb der Nazi-Ideologie nicht gleichfalls für jüdische Menschen und deren Ehepartner gilt, ist gerade Kern einer rassistischen, menschenverachtenden Weltanschauung, die von einer emanzipatorischen Bewegung kritisiert werden muss. Aber auch einem anderen beliebten Fehlschluss sollten wir abschwören: Freilich gibt es einen Unterschied zwischen dem Ablegen der Identifizierung, ein Nazi zu sein, und derjenigen einer deutschen, französischen oder togolesischen ‚Identität’. Betrachten wir jedoch die Prozesse genauer, die überhaupt zu diesen Identifizierungen führen, so merken wir, dass der einzige wirklich ‚essentielle’ Unterschied darin liegt, dass die eine ‚Identität’ in den Akten des Standesamtes verzeichnet ist, die andere in denen des Staats- und Verfassungsschutzes. Alles andere sind Dressur oder aktive Einübung auf der Bühne des soziales Milieus, performative Selbstauslegung und Berufung auf vermeintlich historisch ‚gewachsene’ Traditionen – hier wie dort. Beide Formen führen zu In- und Exklusionen; in beiden Fällen können die Exklusionen Todesfälle nach sich ziehen. Die mit der Staatsbürgerschaft verbundene Identitätsvorstellung weist insofern Strukturähnlichkeiten zu der biologisierenden der Nazis auf und kann deshalb nicht als ultima ratio gelten. Ideologie tötet.
Dies manifestiert sich heute besonders an den Grenzen der ‚Festung Europa’, wo der Wunsch nach einer stabilen Identität und Wirtschaft Tausenden das Leben kostet, denen sich Europa als letzte Hoffnung präsentiert.
Hier finden wir den Riss, der unsere Gesellschaft durchzieht, an dem sich derzeit die Geister spalten: die Flüchtlingspolitik ist symptomatisch für den derzeit hippen ‚Euro-Nationalismus’ – ein Gespenst der europäischen Idee vergangener Jahrzehnte, die jetzt als ausgewachsener Restriktionsapparat ihr schauriges Unwesen treibt. Von wegen „alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“ Die Freiheiten, die mit der EU einhergehen, sind fast ausschließlich Freiheiten für ohnehin Bessergestellte. Allen Anderen gibt es die Möglichkeit leichter an ihren teils mehrere hundert Kilometer entfernten Arbeitsort zu kommen oder in reicheren Ländern betteln zu gehen – dem europäischen Binnenmarkt sei Dank. Die innerdeutsche Geflüchtetenpolitik hat die zynische Bezeichnung der ‚deutschen Willkommenskultur’ bereits an die Spitze meiner persönlichen Unwort-des-Jahres-Liste gesetzt. Humanität und Menschenrechte? Fehlanzeige. Die Ausrede, ‚man könne eben nicht alle hier aufnehmen’: eine infame Karikatur des Trauerspiels, das sich vor unseren Augen abspielt. Von Anstrengungen die Situation von Flüchtlingen zu verbessern lässt sich von staatlicher Seite aus wirklich nicht sprechen. Stattdessen: Sondereinheiten zur Überwachung und Abschiebung straffällig werdender Asylbewerber_innen. Wir wollen unseren Reichtum nicht teilen. Die ‚Flüchtlingsströme’ sind für den ‚Way of Life’ vieler intolerabel – sowohl wirtschaftlich als auch sozio-kulturell. Toleranz ist in unserer Gesellschaft ein Grenzbegriff: sie grenzt meist aus und ihre Grenze selbst ist im Gegensatz zu den Grenzumzäunungen der EU ziemlich niedrig. Toleranz sollte jedoch, wie Freiheit, zumindest immer die Toleranz der anders Denkenden, kurz der Anderen sein. Toleranz ist keine Einbahnstraße. Damit meine ich, dass heute die wirkliche Andersheit auf sicherer Distanz gehalten wird (Slavoj Žižek hat hierauf in seinem Buch Plädoyer für die Intoleranz hingewiesen). „Ausländer? – Gern! Wenn die Deutsch lernen und sich unserer Kultur anpassen!“ Dann sind sie nun aber eben nicht mehr anders, sondern gerade gleichgemacht, ein und dasselbe. „Aber Deutschland ist doch bunt!“ Kopftuchverbot an Schulen und Islam unter Generalverdacht sprechen hier Bände. Toleranz, als bloße Duldung setzt ein Überlegenheitsverhältnis des tolerierenden Dulders gegenüber der Tolerierten voraus, die aus Großherzigkeit geduldet wird. Multikulti auf diese Weise verstanden ist Monokulti mit einigen Schönheitsfehlern, die als bunte Farbklekse staffiert, zeigen sollen, wie tolerant ‚wir’ sind. Diese Selbstbeweihräucherung kotzt mich an. Diese Toleranz kann ich nicht tolerieren, schon gar nicht als Allheilmittel! Kein Wunder, dass Angela Merkels Aussage über das Scheitern der Multikulti-Gesellschaft Freude bei nationalistischen und xenophoben Gruppierungen in ganz Europa ausgelöst hat: „machen wir mal multikulti und Leben mal so nebeneinander her und freuen uns übereinander – dieser Ansatz ist gescheitert! Absolut gescheitert!“ Dies spricht ebenso der sogenannten bürgerlichen Mitte aus der braven Volks-Seele: „Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, aber bitte nicht bei uns!“ Die Angst vor dem unkontrollierbaren Anderen koppelt sich an die Angst der Annihilation. Allen Nazis fiel ein Stein vom braunen Herzen als Thilo Sarazin mit dem Titel seines obszönen Kassenschlagers in nuce umsäumte, was sie all die Jahre gepredigt, wofür sie all die Jahre gekämpft und fleißig Asylheime angezündet sowie Menschen zu Tode geprügelt haben: Deutschland schafft sich ab. Der Volkstod greift mit seinen knöchernen Händen in ‚unsere’ Erbsubstanz ein, wo die Prokreation nicht aus Karrieregründen schon von selbst eingestellt wurde…
Mit dem Verweis auf ‚unabweisbare’ Fakten und ‚objektive’ Statistiken aus ‚der Wissenschaft‘ untermauert, lädt die sich ausbreitende Epidemie des Rechtspopulismus zu von Angst geschürten Willkürbekundungen ein – das Symptom dieser Politik der Angst ist der Rechtsruck in den Parlamenten, ihr Maskottchen Xavier Naidoo.
Dies erklärt auch die Distanzierungswut von AFD, CSU/CDU, PEGIDA und ihren Kamerad_innen im Geiste. Sie haben gute Gründe die Vorwürfe des Rechtspopulismus aka (Proto-Neo-)Nationalsozialismus nicht zu verstehen. Sie sprechen vom Ort der „guten Mitte“ aus, die sich verfassungsstaatlich legitimiert weiß und von der daher jede Kritik als anti-demokratisch notwendig wie von einer imprägnierten Zwangsjacke abperlt – gefangen in ihrem illusionären Glauben, den ‚gesunden Menschenverstand‘ zu verkörpern. Doch warum können sie nicht aus diesem gedanklichen Zwangsgestell ausbrechen? Sind sie vielleicht indirekt von einer Machtelite geleitet, die hinter den Kulissen die Strippen zieht? Ich bin mir da nicht so sicher. Aber bestimmt hat Xavier Naidoo einige Insights hierzu zum Besten zu geben… Sind sie vielleicht einfach bösartig und verstehen nicht, wie wichtig Toleranz und gegenseitiger Respekt ist? Das wäre zu einfach und ist im Übrigen ebenfalls eine anprangernde Frage, die sich nur aus dem Bannkreis einer imaginären guten Mitte formulieren lässt. Warum meinen sie denn, dass sie für das Richtige, Gute, Schöne gegen all jene kämpfen, die das paradiesische Idyll, das sie ihre Heimat nennen, zu zerstören trachten? Weil sie daran glauben, dass es so ist? Offenbar. Warum können sie sich nicht von Ressentiment und Ausschlussmechanismen gegen selbsterzeugte imaginäre Sündenböcke lösen? Sind vielleicht schlichtweg einfach zu bequem oder gar zu blöd dazu? Vielleicht.
An dieser Stelle scheint es sinnvoll für eine Vierteilung von Nazis zu plädieren. Ich meine damit freilich nur eine Einteilung in vier grobe Cluster des „Nazi-Seins“, um deutlich zu machen, warum es AfD, PEGIDA und Co. so schwer fällt zu verstehen, was sie eigentlich sind: 1. Menschen, die Nazis sind (also Handlungen oder Sprechakte vollziehen, die eine Variante von Nazi-Ideologie reproduzieren), dies auch wissen (sich also selbst als Nazis verstehen und diese Identität affirmativ für sich in Anspruch nehmen) und es auch ohne Vorbehalt öffentlich sagen, schreiben oder sonst wie durch Symbolbezüge jeglicher Art aufzeigen. Hierzu zählt bspw. der Nationale Widerstand, seine freien Kameradschaften oder ‚autonomen Zellen‘, kurzum Nazis die ungeniert öffentlich Nazisachen machen. 2. Personen, die Nazis sind, dies auch wissen, es aber bewusst nicht öffentlich sagen oder zu kaschieren versuchen, z.B. die NPD, DVU oder auch viele Verschwörungstheoretiker_innen sowie Anhänger_innen der Reichbürgerbewegung dürfen sich hier angesprochen fühlen. 3. Personen, die ihrem Habitus und ihrer Weltanschauung nach Nazis sind, dies aber weder einsehen noch sich öffentlich in dieser Weise äußern. Hier finden sich historisch betrachtet bspw. alle diejenigen repräsentiert, die der schweigenden Mehrheit während der zwölf Jahre des Tausendjährigen Reichs angehörten, die freilich von nichts gewusst und natürlich niemandem, was zu Leide getan haben wollen. Man munkelt, bei dieser Klientel seien nach 1945 haufenweise die Lücken im Bücherregal, in denen zuvor Mein Kampf thronte, mit dem Parteibuch der CDU gefüllt wurden. Aber wer interessiert sich heute bitte noch für Geschichte? 4. Abschließend das Cluster, das sich neuerdings wieder eines stetigen Zuwachses erfreut: Menschen, die Nazis sind, es jedoch nicht wissen bzw. nicht wahrhaben wollen, aber öffentlich trotzdem so reden als wären sie welche – das Gespenst des Rechtspopulismsus, das gerade in Europa wieder sein Unwesen treibt und dessen Laken aus den Bannern von AfD, Bloc Identitaire, Fidesz, Front National und UKIP sowie neuerdings PEGIDA und viel zu vielen Montagsdemonstrant_innen zusammengeflickt ist. Lüftet man es ein wenig, verstecken sich unter dem Betttuch häufiger in Braunhemden gekleidete Reaktionäre und Ewiggestrige als man eigenen Angaben zufolge vermuten würde.
Dass dieser ‚Trend nach Rechts‘ jedoch keineswegs ein gesellschaftliches Randphänomen darstellt, lässt sich an den der vergangenen Fußball Welt- und Europameisterschaften zeigen. Ich bekenne mich schuldig: ich habe seit meiner Kindheit immer wieder Spiele verschiedener Nationalmannschaften angesehen; hier liegt noch gar nicht das Problem. Was mir jedoch bei dieser Feldforschung auffiel, ist dass sich das Kommentierverhalten der Sprecher (die WM-Spiele wurden und werden alle samt von erstsozialisiert männlichen Personen kommentiert) seit der WM 1998 auffällig verändert hat. Gab es zur – freilich aus der Sicht ‚der Deutschen’ desaströsen – EM 2000 noch nüchterne Beschreibungen der „schlechten Leistung der deutschen Nationalmannschaft“, mit der sich lieber niemand so recht identifizieren wollte, hieß es bei der letzten WM sobald der Ball im Strafraum der deutschen Nationalmannschaft landete: „Deutschland in Gefahr!“. Einiges ist seit 2006 wieder salonfähig und ‘ganz normal’ geworden, was nach 1945 undenkbar schien oder zumindest mit dem Siegel der Pietätlosigkeit belegt wurde. Die heutigen Fans regredieren zuhauf auf eine Stufe rassistischer Spaßvögel mit Gewaltfantasien. Während sich die Spieler zu Protagonisten eines Identifikationsspektakels epischen Ausmaßes stilisieren lassen, kurz und knapp: „Die Mannschaft“ der Nation („Endlich können wir wieder auf Deutschland stolz sein! Danke Jungs!“) – Deutschland ein Schauermärchen.
Das alles sei jedoch ‚nur halb so schlimm’ – wie der Gaucho-Auftritt – ‚Routine beim Fußball’. Weil: ‚da gehört das dazu’… Hier muss engagiert interveniert werden! Hannah Arendt hat in Eichmann in Jerusalem derartige Wahnvorstellungen der Normalitätskonformität pointiert herausgestellt: Die dänische Bevölkerung und ihre mit den Nazis teils kooperierenden Institutionen lehnten es ab, der Deportation der dort befindlichen jüdischen Menschen als Selbstverständlichkeit zuzustimmen. Sie warnten die jüdischen Menschen und nahmen die von Nazi-Deutschland als staatenlos erklärten Flüchtlinge gegen die SS in Schutz – Flüchtlingspolitik mal anders. Durch non-konformes Verhalten lässt sich die Nichtnotwendigkeit des ‚Selbstverständlichen’ aufweisen. Es sollte sogar als der eigenen Verantwortlichkeit obliegend begriffen werden, vermeintliche Normalität anzuprangern, wo sie zu Ausschlüssen und systemischer oder physischer Gewalt führt. Mir ist bewusst, dass das Machogehabe beim Fußball und die Deportation von Menschen mitnichten gleichzusetzten sind. Mir geht es hier nur darum, den zugrundeliegenden Mechanismus der ‚Denormalisierung’, der Erschütterung des für ‚ganz normal’-Gehaltenen überspitzt zu verdeutlichen. Die heutigen Tendenzen in der Fußballkultur halte ich deshalb für gefährlich, wenngleich sie als ‚halb so wild’ oder pseudo-wissenschaftlich als ‚Sublimationsmechanismus tierischer Bedürfnisse des Menschen’ verstanden werden, nach dem Motto ‚im Stadion Wut ablassen, um den Rest der Woche brav zu malochen’. Rassismus ist ein integraler Bestandteil deutscher Fußballkultur und nicht nur derjenigen, die sich auf Demos gegen Salafisten versammelt. Sie ist zum Katalysator nationalistischer Ambitionen in Zeiten eines ‚geeinten Europas’ geworden – mit Kaschierungseffekt („Man muss doch stolz auf sein Land sein dürfen – mindestens beim Fußball!“).Die deutsche Herren-Fußball-Nationalmannschaft steht bei der Gefahr-im-Strafraum-ist-gleich-Gefahr-für-Deutschland-Gleichsetzung als Teil für das imaginäre Ganze. Diese Form des Patriotismus ist eine staatskapitalistische Gegenbewegung zu der mit Entwurzelung konnotierten wirtschaftlichen Globalisierung. Das gemeinschaftsstiftende Moment reduziert sich jedoch neben den angedeuteten Ausschlussmechanismen auf wenig mehr als eine Steigerung des Arbeits- und Konsumverhaltens: „Ich Arbeite nicht nur für meinen eigenen Wohlstand, sondern auch für den meines Landes, aber ich bin kein Nationalist, sondern Patriot.” Von solchen Weichspüler-Nationalismen, die sich vor allem über das eigene ‘kapitalismuskritische’ Konsumverhalten definieren (“Der Heimat zuliebe!”), haben sich auch vorgeblich kritische Denker_innen wie Jürgen Habermas schon anstecken lassen, der sich für einen Verfassungspatrioten hält. Auf diese Weise lässt sich jedoch die Gefahr der Transition zu nationalkapitalistischen, autoritativen Systemen nach dem Vorbild Chinas im Gewandt eines unschuldigen Patriotismus verschleiern. Hier ist höchste Vorsicht geboten! Sätze wie „Das muss man ja wohl noch sagen dürfen“ erhalten die Valenz von Zauberformeln. Sie sind des Normalisierungsversuchs von Nichtselbstverständlichem verdächtig. Solchen Sätzen folgt stets etwas im wahrsten Sinne Unerhörtes, das bisher meist unausgesprochen, nur durch Blicke, kaum sichtbare Gesten und die Wahl des Sitzplatzes in der Straßenbahn vermittelt wurde; etwas, das förmlich unter der Oberfläche brodelnd gärte: latente Formen des Rassismus, Antisemitismus, Autoritarismus. Nun erhält das stahlharte Gehäuse der Political Correctness Risse und bricht auf; was unter dem Schleier des Unsagbaren verdeckt schien, wird endlich mit dem Gestus der politisch-inkorrekten Märtyrer_in vorgetragen, die sich opfert, um zu verlautbaren und hörbar zu machen, was ohnehin angeblich alle denken. Wir leben in einer Zeit solch unerhörter Ausbrüche, in aller Doppelzüngigkeit der Worte.
Um auf solche Ausbrüche adäquat reagieren zu können, empfinde ich es als besonders wichtig, politische Bildung theoretisch zu fundieren. Nur eine durch Analyse und Kritik unserer Lebenswelt informierte Praxis verschwendet sich nicht in hysterischem Aktionismus oder Schattenboxen im Elfenbeinturm. Deshalb engagiere ich mich z.B. als Sprecher_in im AK Politische Theorie der FES.
Derzeit veranstalte ich außerdem mit vier Kommilliton_innen an der HU-Berlin eine Vortragsreihe mit dem Titel „Subversion und Politische Differenz – Diskurse und Perspektiven zwischen politischer Emanzipation und Postsouveränität“ , zu der wir Denker_innen und Aktivist_innen eingeladen haben, die nach Alternativen zum vorherrschenden Politik- und Wirtschaftssystem suchen und sich für eine andere – hoffentlich bessere – Welt engagieren.
Auf der Ebene repräsentativer Demokratie halte ich es daher für geboten sich kritisch von einer ‚sozialdemokratischen Politik von oben für oben’ zu lösen, die sich wie ein roter Faden von Friedrich Ebert bis Gerhard Schröder durch die Regierungszeiten der ‚ältesten demokratischen Arbeiterpartei’ zieht (Willy Brandt darf hier vereinzelt als Ausnahme gelten). Ein Plädoyer für den von vielen als diskreditierten Begriff behandelten ‚demokratischen Sozialismus’ ist lang überfällig! Seine Rehabilitierung sollte als ein gemeinsam neu zu kreierendes Projekt verstanden werden, das den zu Sprachhülsen skelettierten Idealen von Solidarität und Gleichheit neues Leben einhauchen könnte. In Rückbesinnung auf Rosa Luxemburg: ‚Die Revolution zu einer wirklichen Arbeiter_innenpartei wäre großartig, alles andere ist Quark!’